Der Lenz
Auf goldenem Thron geboren,
Siegreich, ein gefeierter Held,
zieht ein aus offenen Thoren
Der König Lenz in die Welt.
Es sprengen auf weißen Rossen
Voran Herolde drei;
In schmetternde Hörner sie stoßen:
Der Lenz kommt, tandaradei!
Dem Winter im Eispalaste,
Dem reiten sie vor das Thor,
Bang schlägt dem mürrischen Gaste
Der fröhliche Schall ans Ohr:
"Schneekönig in einsamer Klause,
verschlafener, frostiger Tropf,
Hervor! hervor aus dem Hause,
Es geht dir an Kragen und Kopf!
Hervor du grober, du kalter,
Du windiger, schlimmer Kumpan;
Du Sorgen- und Grillenverwalter,
Dein letztes Stündlein hebt an!
Zu lange mit Spott und Schaden
Hast du die Welt bedroht,
Nun läßt der Lenz dich laden
Zum Streit auf Leben und Tod."
Da schnaubt aus kristallenem Hause
Ingrimmig der Winter hervor,
Vermummt in zottige Flause,
Die Kappe tief überm Ohr.
Hoch hat er den rostigen Degen
Zum Kampf emporgeschnellt;
Es reite ihm freudig entgegen
Der Lenz, der wonnige Held.
Doch als er ihn sieht, mit Lachen
Im Sattel sich wiegt er und spricht:
"Du willst zu fürchten uns machen?
Du armer, betrüblicher Wicht!
Heran ihr Mädchen und Knaben,
Mit Blumen und Kränzen heran,
Und werfet mir in den Graben
Den alten, griesgrämigen Mann!
Mit Veilchen und gelben Ranunkeln
Bedeckt ihn ganz und gar;
Da mag er liegen im Dunkeln
und schlafen bis übers Jahr.
Und liegt er und schläft er, so steigen
Wir singend von Haus zu Haus,
Und klopfen mit blühenden Zweigen
Die säumigen Menschen heraus:
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Frischauf, ihr Schläfer, ihr Träumer,
Hellsonnig lacht der März!
Ihr argen Frühlingsversäumer,
So öffnet doch Fenster und Herz!
Und zögert ihr, euch zu bequemen,
So bläst, Herolde, zum Strauß!
Ihr Knaben und Mädchen, wir nehmen
Im Sturme dann Herz und Haus!"
Titel: Der Lenz
Autor: Richard Leander (1830-1889
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